Aufzucht

Aufzuchtkälber

Ohrenentzündung

Neben Missbildungen können Kälber an verschiedenen Erkrankungen der Ohren leiden, die milde bis gravierende Folgen haben können. Eine unbehandelte Ohrenentzündung (Otitis) kann zu einer starken Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes führen und längerfristig die Wachstumsleistung vermindern. Prinzipiell können alle Altersklassen betroffen sein (ab erster Lebenswoche). 

Anatomisch unterscheidet man am Ohr drei verschiedene Bereiche.  Das Aussenohr umfasst die Ohrmuschel und den äusseren Gehörgang. Das Trommelfell bildet die Grenze zum Mittelohr. Dieses enthält in einer kleinen luftgefüllten Höhle drei Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss, Steigbügel). Eine Membran am ovalen Fenster bildet die Abgrenzung zum Innenohr. Durch die Eustach‘sche Röhre ist das Mittelohr direkt mit dem Rachenraum verbunden und ermöglicht so den Druckausgleich. Das Innenohr ist ein komplex gestalteter, flüssigkeitsgefüllter Hohlraum, in dem die sogenannte Gehörschnecke und das Labyrinth als Gleichgewichtsorgan eingebettet sind. Alle drei Bereiche können entzündet sein. Je „tiefer“ sich das Problem befindet, desto schwerwiegender ist die Krankheit. Deshalb ist eine frühe und korrekte Erkennung der Erkrankung von grosser Bedeutung.

Anatomie des Ohres (Hund)
Bild: M.H. Stoffel und S. König unter Verwendung von Ross, Reith, Rommel (1989) und Schaller (1992)

Die häufigsten Erkrankungen und deren Ursachen

Aussenohr:
Ein Bluterguss am Ohr (Othämatom) wird meist durch gegenseitiges Besaugen in einer Tränkekälbergruppe verursacht.
Verletzungen durch gegenseitiges Besaugen, Einsetzen der Ohrmarke oder Anschlagen an Gegenständen. Werden sie infiziert, können sich eine Phlegmone (diffuse, flächige Entzündung des Unterhautbindegewebes) oder ein Abszess (abgegrenzte Eiteransammlung mit Kapsel) bilden.
Entzündung des äusseren Gehörgangs aufgrund einer Verunreinigung oder Parasitenbefall sind in der Regel Wegbereiter für eine bakterielle Infektion; diese sog. Otitis externa tritt häufig bei Hunden auf.
Mittel- und Innenohr:
Entzündungen haben meist eine infektiöse Ursache. Die Erreger können über drei verschiedene Wege in diesen Bereich gelangen: Vom Rachen her über die Eustach'sche Röhre, vom infizierten Aussenohr durch das beeinträchtigte Trommelfell oder über das Blut.
beteiligte Bakterien:

  • Die wichtigsten Bakterien gehören zu derjenigen Gruppe, welche auch für die Lungenentzündung der Kälber verantwortlich sind (Kälbergrippe): Mycoplasma spp., Pasteurella multocida, Histophilus somni, Manheimia haemolytica, Corynebacterium pseudotuberculosis.
  • Die zweite Gruppe umfasst in der Umwelt vorkommende Keime, welche in infiziertem Gewebe oder Eiter häufig nachgewiesen werden. Sie kommen in der Regel vom Aussenohr her. Escherichia coli, Pseudomonas spp., Tuerperella pyogenes, Streptococcus spp.

Parasiten:

  • Ohrmilben (Raillietia spp.) bewohnen die tiefste Zone des äusseren Gehörgangs und das Trommelfell. Eine stetige Reizung des Trommelfells kann zu einem Durchbruch und zum Eindringen der Milben ins Mittelohr führen.
  • Andere Umgebungsmilben (wie Futtermilben, Sarcoptes spp. oder Herbstgrasmilben (Trombicula autumnalis)) können auch unter Umständen die Ohrmuschel und den äusseren Gehörgang kolonisieren und Entzündungen verursachen.

Quellen: [80, 81, 82, 83]
Speziellen Dank an Prof. Dr. med. vet. M.H. Stoffel (Vetsuisse-Fakultät Universität Bern) für die anatomischen Bilder

Diagnose des Einzeltiers im Stall

Die Diagnose einer Ohrentzündung erfolgt durch das typische Krankheitsbild:
Bei einer leichten Entzündung fällt auf, dass sich die Tiere mit den Hintergliedmassen immer wieder an den Ohren kratzen oder mit dem Kopf an der Stalleinrichtung scheuern. Im weiteren Krankheitsverlauf zeigen die betroffenen Kälber ein- oder beidseitig hängende Ohren, ein reduziertes Ohrspiel und oft Fieber mit schlechtem Appetit und Allgemeinzustand. Ist das Innenohr mitbetroffen, kann es zusätzlich zu dranghaftem Wandern im Kreis und zu hängenden Augenlidern und Lippen kommen. Durch mehrmaliges rasches Zusammendrücken an der Ohrbasis kann bei vermehrtem Entzündungssekret im äusseren Gehörgang ein „schmatzendes“ Geräusch hervorgerufen werden. Nach dem Durchbruch des Trommelfells ist zudem auch schmieriger oder eitriger Ausfluss vorhanden.

Kalb mit hängendem Ohr
Kalb mit einseitig hängendem Ohr und eitrigem Ohrenausfluss © Wiederkäuerklinik Vetsuisse-Fakultät Bern

Abklärungen bei einem Bestandesproblem

Grundsätzlich muss unterschieden werden, ob die Ohrentzündungen vom Aussen- oder Mittel-/Innenohr ausgehen. Bei Problemen des Aussenohrs, ist beispielsweise gegenseitiges Besaugen der Kälber eine wichtige Ursache: eine reizarme Umgebung und Haltung auf engem Raum fördert dieses Verhalten. Zusätzlich können Verletzungen Aussenohrentzündungen fördern – eine genaue Untersuchung der Stalleinrichtung auf Risikobereiche ist somit unbedingt nötig.

Mittel- und Innenohrentzündungen entstehen oftmals im Zusammenhang mit Lungenerkrankungen. Ein besonderes Augenmerk muss somit auf ein eventuell zusätzlich auftretendes Herdenproblem mit Lungenentzündungen geworfen werden (Infektion über Verbindung zwischen Rachen und Ohr). Eine gute Belüftung und ein gutes Stallklima können hier vorbeugend wirken. Ebenso ist eine Impfung gegen Rindergrippe eine mögliche vorbeugende Massnahme.
Bei Mittel- und Innenohrentzündungen als Herdenproblem sollte eine bakteriologische Untersuchung (Bestimmung des zugrunde liegenden Erregers) durchgeführt werden. Eine korrekte bakteriologische Probenentnahme ist nur bei Schlachttieren oder in einer pathologischen Untersuchung eines Tierkadavers möglich. Dies ist jedoch nur in einem akuten Stadium sinnvoll, da in einem chronischen Fall die ursächlichen Erreger durch Eiterbakterien überwuchert sind.

Quellen: [77, 84, 85, 86, 87]

Erkrankungen der Ohrmuschel wie z. B. das sogenannte „Blutohr“ (Othämatom) entstehen durch wiederholte mechanische Reizung der Ohrmuschel oder auch durch Verletzung eines Gefässes beim Einsetzen der Ohrmarke. Entzündungen des äusseren Ohres und des Gehörganges werden insbesondere durch ein feucht-warmes Stallklima begünstigt, das optimale Voraussetzungen für eine Infektion mit Milben bietet. Die häufigen Entzündungen des Mittel- und Innenohres entstehen dagegen meist durch eine Infektion vom Nasen-Rachenraum her und treten oft zusammen oder nach einer Atemwegserkrankungen auf. Somit sind die gleichen Risikofaktoren wie für die Kälbergrippe entscheidend. Dringt ein Keim in die Nasenhöhle und den Rachenraum ein, kann er sich in den Mandeln festsetzen und von da über die Eustach‘sche Röhre Richtung Mittelohr vordringen. Dies gilt insbesondere auch für die Keimgruppe der Mykoplasmen, die zu einem grossen Prozentsatz an der Entstehung von Ohrinfektionen beteiligt sind.

Risikofaktoren (siehe auch Risikofaktoren der Lungenentzündung):

Tiereigene Faktoren:

  • Verminderte Abwehrbereitschaft des Organismus
  • Ungenügende Biestmilchversorgung (weitere Informationen).
  • Stress durch Gruppenzusammensetzung („Crowding“), Transport usw. (weitere Informationen).

Umweltfaktoren:

  • Klima: Luftfeuchtigkeit > 85 %, hohe Schadgasbelastung (insbesondere Ammoniak), hohe Staub- und Pilzsporenbelastung in der Luft (weitere Informationen).
  • Vermehrtes Besaugen der Ohrmuschel in der Gruppe.

Übertragung von der Kuh auf das Kalb:

  • Verfüttern von Mykoplasmen-haltiger Milch (von Kühen mit einer klinischen Mastitis).
  • Tröpfcheninfektion bei Aufstallung von Kühen und Kälbern im gleichen Gebäude mit identischem Luftraum.

Übertragung innerhalb der Kälbergruppe:

  • mit krank machenden Bakterien belastete Tränkeutensilien.
  • Tröpfcheninfektion innerhalb der Kälbergruppe von den infizierten und eventuell auch kranken Tieren auf die gesunden.

Quellen: [88, 89, 90]

Vorbeugungsmassnahmen

Reduzieren des gegenseitigen Besaugens:

Die Hauptursache für gegenseitiges Besaugen ist ein unbefriedigter Saugreflex sowie Langweile. Entsprechend sollte bei der Versorgung des Kalbes mit Milch das natürliche Saugverhalten an der Kuh möglichst imitiert werden. Dies bedeutet Saugen an einem Nuggi mit kleinem Loch sowie mit aufrechter Kopfhaltung. Das Saugen sollte für das Kalb mit Arbeit verbunden sein, damit die Trinkdauer nicht zu kurz ausfällt. Zudem ist auf eine ausreichende Tränkemenge zu achten.
Gegen die Langweile nützlich sind genügend Stroheinstreu und ein permanenter Auslauf. Dürrfutter und Kraftfutter als Rationsergänzung dienen als Zwischenmahlzeiten und Wasser sollte stets zur freien Verfügung stehen.

Ohrverletzungen:

Treten häufig Ohrverletzungen auf, so muss der Stall nach den möglichen baulichen Fehlern abgesucht und die Ursache für vermehrtes Kratzen oder Kopfschütteln (Parasiten) abgeklärt werden.

Vorbeugung gegen Mittel- und Innenohrentzündungen:

Da diese Entzündungen häufig mit Lungenentzündungen vergesellschaftet sind, gelten prinzipiell die gleichen Prophylaxemassnahmen. Die allgemeinen Richtlinien zur Haltung (räumliche Anforderungen, Klima, Einstreu), Fütterung (Kolostrum, Tränke, Festfutter) und Management (Tierverkehr, Arbeitsabläufe, Reinigung und Desinfektion) müssen eingehalten werden.

Wichtige Stichworte dazu:

  • Stallklima: Ausreichende Luftzirkulation (Lufterneuerungsrate) sicherstellen, aber keine Zugluft, geringe Luftfeuchtigkeit (< 80 %), angenehme Boden- und Lufttemperatur, häufiges Entmisten.
  • Abwehrkraft des Kalbes stärken: Optimale Kolostrumversorgung (in Problembeständen kann der Einsatz von Antikörperserum helfen), genügende Selen- und Vitamin E–Versorgung sicherstellen, die Kälber oder gegebenenfalls die trächtigen Mütter impfen.
  • Infektionsrisiko minimieren: Haltung in kleineren Gruppen (max. 10 Tiere pro Gruppe), genügend Liegefläche pro Tier (>  2 m2), kranke Tiere separieren, fremde Kälber nicht in bestehende Gruppen einstallen, den Altersunterschied innerhalb einer Gruppe klein halten, Kälber nicht im gleichen Luftraum wie die älteren Tiere halten, Stallhygiene hoch halten (Wände, Stangen und Nuggis regelmässig  reinigen und desinfizieren).
  • Stress vermindern: Umstallungen oder Tiertransporte vermeiden, Gruppen zügeln und nicht Einzeltiere.
  • In Problembetrieben mit Mykoplasma-Mastitiden: Kälber nicht mit Mastitis-Milch füttern.

Quellen: [59]

Die Behandlung von Ohrenentzündungen (Otitis) ist abhängig vom Schweregrad der Erkrankung, deren Lokalisation und der Ursache. Der Behandlungserfolg von Mittelohrentzündungen ist unter anderem stark von dem Zeitpunkt des Beginns und der Dauer der Behandlung abhängig. Die Behandlung erfolgt primär im Rahmen einer systemischen Antibiotikatherapie, da vom Gehörgang her kein Zugang zum Mittelohr besteht, solange das Trommelfell noch intakt ist.
Eine Separierung des Kalbes in eine Einzelbox wird empfohlen, um eine Verschlimmerung der Symptome durch Besaugen zu vermeiden, aber auch um die Beobachtung, Behandlung und Kontrolle des betroffenen Kalbes zu optimieren und dem kranken Tier Ruhe zu verschaffen.

Folgendes Vorgehen wird empfohlen:

Aussenohr:

Plötzlich auftretende Veränderungen am Aussenohr (wie Schwellung, Rötung, Schmerzhaftigkeit) sind in der Regel nicht auf eine Entzündung des Mittelohres zurückzuführen. Bei diesen Patienten ist der Einsatz von kühlenden Mitteln wie Salben im äusseren Bereich des Ohres empfehlenswert. Werden Parasiten oder vermehrtes Kratzen an beiden Ohren beobachtet, ist der Bestandestierarzt hinzuzuziehen, um weitere Abklärungen vorzunehmen.

Mittel- und Innenohr:

Nach Absprache mit dem Bestandestierarzt und entsprechender Untersuchung, kann ein antibiotischer Therapieversuch eingeleitet werden. Bei Kälbern, die schon seit mehreren Tagen krank sind oder noch an weiteren Erkrankungen wie Pneumonien, Gelenksentzündungen oder Nabelerkrankungen leiden, ist eine Therapie jedoch nicht erfolgversprechend.
Bei vermehrtem Auftreten von Ohrenentzündungen ist eine strategische Abklärung des Bestandes und die Einleitung von vorbeugenden Massnahmen einer wiederholten systematischen Antibiotika-Behandlung von Kälbern mit Ohrenentzündung vorzuziehen. Ziel wäre es, Neuerkrankungen in der Herde zu vermeiden und die Ausbreitung der Erkrankung zu verringern.

Quellen: [83, 88, 90]